Thomas Vellacott und Patrick Camele über den Erfolg nach drei Jahren «ONE TWO WE»

2013 wurde das Klimaschutzprogramm ONE TWO WE lanciert. Thomas Vellacott, CEO des WWF Schweiz, und Patrick Camele, CEO der SV Group, trafen sich im Januar 2017 zum Round-Table. Sie zogen Bilanz und sprachen über das grosse Ziel beim Thema Fleisch.

Dübendorf, 3. April 2017

Herr Vellacott, wie steht es um die Nachhaltigkeit in der Schweizer Gastronomie?
Thomas Vellacott (TV)  Ganz allgemein wird in der Ernährung das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. Das sehen wir als klaren Trend in vielen entwickelten Ländern. Die Menschen spüren, dass man sich gleichzeitig nachhaltig und genussvoll ernähren kann. Im Bereich Nachhaltigkeit steigt deshalb die Nachfrage. Da spielt die Gastronomie eine wichtige Rolle. 

Wie wichtig ist denn das Engagement von SV Schweiz in diesem Bereich?
TV  Um diese Frage zu beantworten, muss man wissen, dass rund ein Drittel unseres ökologischen Fussabdrucks durch die Ernährung verursacht wird. Wenn wir als Gesellschaft insgesamt nachhaltiger werden wollen, ist die Ernährung ein wichtiger Teil davon. Deshalb ist unsere Partnerschaft mit SV Schweiz auch so wichtig. Es gibt Firmen, die betreiben Nachhaltigkeit, weil es sich gut anhört und sich gut publizieren lässt. Doch so ist Nachhaltigkeit oberflächlich. Bei anderen Firmen spürt man, dass die Nachhaltigkeit ins Kerngeschäft geht. Bei SV Schweiz greift ihr Commitment zu ONE TWO WE sogar in einem sehr ambitiösen Mass ins Kerngeschäft. Das schickt ein Signal an Konsumentinnen und Konsumenten, an Mitbewerber, an die ganze Branche. Damit erbrachte SV Schweiz eine Pionierleistung.

Herr Camele, warum engagiert sich SV Schweiz so stark für die Nachhaltigkeit?
Patrick Camele (PC)  SV Schweiz ist bereits seit 102 Jahren auf dem Markt und Nachhaltigkeit war bei uns schon immer ein grosses Thema. Früher war es die soziale Nachhaltigkeit für Arbeiter unter schwierigen Arbeitsbedingungen. Später ging es auch um die Förderung von Frauen. So haben wir Nachhaltigkeit immer zeitgemäss interpretiert. Was wir gemacht haben? Wir haben auf unsere Kunden gehört. Wir stellten fest, dass das Thema bei unseren Kunden und Gästen stark an Bedeutung gewann. Deshalb haben wir begonnen, Nachhaltigkeit weiter zu vertiefen. 

ONE TWO WE bedeutet Aufwand. Ist Ihr Engagement unter dem Strich ein Geschäft?
PC  Wenn wir das nur kurzfristig betrachten, nein. Gepflegt vegetarisch kochen ist bedeutend teurer. Zudem verursacht die Partnerschaft mit dem WWF Projektkosten. Hören wir hingegen auf unsere Kunden und Gäste, zahlt sich unser Engagement langfristig aus.

Wie zahlt sich das aus?
PC  Was wir nicht planten, was aber einen grossen Effekt generierte, ist der Ruck, der durch die ganze Firma hindurchging. Wir müssen jetzt die ganze Wertschöpfungskette kennen. Das heisst, wir müssen exakt zurückverfolgen, welche Ware wann und woher kommt. In diesem Ausmass war das vorher nicht nötig. Heute haben wir die komplette Kontrolle über alle Lieferprozesse. Davon profitieren wir, weil wir die Prozesse optimieren und Preissenkungen generieren können. Was ich auch unterschätzt habe: Die Mitarbeitenden sind motivierter. Als wir unser Konzept ONE TWO WE präsentierten, gab es eine Standing Ovation. «Wow, in einer solchen Firma dürfen wir arbeiten!», war der Tenor. 

TV  Eine solche Umstellung macht man nicht von einem Tag auf den nächsten. Das ist mit viel Aufwand verbunden. Wenn Mitbewerber sehen, dass sie ebenfalls auf diesen Trend aufspringen müssten, werden sie in vielen Fällen zu spät sein. Es braucht Zeit, bis Kunden, Lieferanten und Mitarbeitende spüren, dass das Unternehmen in Nachhaltigkeit investiert – das macht man nicht von heute auf morgen. Nachhaltigkeit wird aber immer mehr nachgefragt, vor allem bei den Millennials. Deshalb bin ich überzeugt, dass sich der Einsatz von SV Schweiz auszahlt.

Kann es denn für ein Unternehmen jemals zu spät sein, auf den Zug aufzuspringen?
TV  Nein, natürlich ist es nie zu spät. Wir beobachten, dass aufgrund der Projekte von SV Schweiz andere nachziehen und Ähnliches realisieren wollen. Zumindest der Pioniervorteil von SV Schweiz ist aber nur schwer aufholbar. Denn man muss der ganzen Wertschöpfungskette auf den Grund gehen, um zu verstehen, wie all diese Prozesse funktionieren. 

Kann ein Unternehmen wie SV Schweiz die Nachhaltigkeit im eigenen Land überhaupt nachhaltig beeinflussen?
TV  Ja, unbedingt. Und das auf zwei Arten. Einerseits direkt beim Gast. SV Schweiz setzt ja pro Jahr rund 22 Millionen Hauptmahlzeiten um. Das sind 22 Millionen Gelegenheiten, die Gäste in nachhaltiger Ernährung zu unterstützen. Hinzu kommt der indirekte Effekt, etwa auf die Mitbewerber, auf die Gäste, die etwas nach Hause nehmen und sich auch daheim anders ernähren, oder auf die Wertschöpfungskette, deren Vertreter umzudenken beginnen.

Herr Camele, Sie haben jetzt ONE TWO WE seit drei Jahren im Programm. Auf welche Ergebnisse sind Sie besonders stolz? 
PC  Unser grosses Ziel war ja, den CO2-Ausstoss zu senken. Nicht nur mit unserem Betrieb, sondern auch mit unserem Kerngeschäft, den Mahlzeiten. Mit zehn Prozent weniger CO2-Ausstoss haben wir unsere vereinbarten Ziele nachweislich erreicht. Auf diese nackten Zahlen sind wir stolz. Es gibt aber noch andere, ebenfalls bemerkenswerte Resultate. Unser Angebot wurde reichhaltiger. Unsere Gäste nehmen das Angebot als schöner und besser wahr. Schnitzel mit Pommes frites gibt es immer noch. Wir mussten aber lernen, vegetarisch zu kochen. 

Und wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
PC  Wir sind betreffend Nachhaltigkeit noch zu wenig durchlässig. Wir haben rund 300 Betriebe. Auf 150 sind wir superstolz, 100 sind gut unterwegs und 50 verhalten sich noch zu passiv. Da müssen wir flächendeckender werden.

Mit mehr Kontrollen?
PC  Entscheidend sind nicht die Kontrollen, sondern welche Menus in unseren Restaurants geplant und angeboten werden. Wir müssen unsere Köchinnen und Köche befähigen, vegetarisch zu kochen. 

Nachhaltigkeit betrifft ja nicht nur das vegetarische Kochen, sondern auch die Fleischküche. Wie sehen Sie das, Herr Vellacott?
TV  Natürlich muss man zur Nachhaltigkeit verschiedene Bereiche berücksichtigen. Saisonalität, der weitestgehende Verzicht auf Flugwaren und – richtig – auch das Fleisch sind wichtige Punkte. Das ist nämlich auch das Spezielle in unserer Partnerschaft mit SV Schweiz, dass wir den Mut hatten, das heikle Thema Fleisch anzugehen. Dabei werden Gäste nicht gegängelt, indem der Fleischgenuss mit schlechtem Gewissen verbunden wird. Wir haben einfach das vegetarische Angebot so attraktiv gemacht, dass es dem Fleisch häufig vorgezogen wird. Heute wird rund zehn Prozent weniger Fleisch umgesetzt. Es geht nicht darum, dass die Bevölkerung nur noch vegetarisch isst. Wir erkennen aber, dass viele nicht mehr das Bedürfnis haben, jeden Tag Fleisch zu essen. 

Müsste man parallel nicht auch die Fleischproduzenten dazu bringen, ihre Produkte nachhaltiger herzustellen?
TV  Selbstverständlich. Alle Kategorien von Lebensmitteln lassen sich nachhaltiger produzieren. Wie erzielt man zum Beispiel eine möglichst geringe Umweltbelastung? Wo erreicht man beim Fleisch ein möglichst hohes Tierwohl? Wie kommt man mit Gemüse zu einer möglichst hohen Saisonalität? Das ist eine Kette von komplexen Faktoren, die betrachtet werden muss. Das Thema Fleisch darf man dabei nicht ausklammern.

Wie beurteilen Sie das Thema Fleisch und Nachhaltigkeit, Herr Camele?
PC  Bei diesen beiden Themen sind wir immer in einem Zielkonflikt. Wir leben und wir brauchen Ressourcen, um unser Leben gestalten zu können. Die Frage lautet: Wo sind wir bereit, Kompromisse zu machen? Wo verhalten wir uns bewusst nachhaltig, etwa in der Ernährung, im Reisen, allgemein im Privat- und im Geschäftsleben, um diese grossen Themen verantwortungsvoll zu beeinflussen. Wichtig ist, dass wir dem Gast eine Auswahl bieten. Und dass wir deshalb unser gesamtes Angebot attraktiv gestalten. Wenn vegetarische Menus ebenso attraktiv sind wie Fleischmenus, wählen unsere Gäste vermehrt vegetarisch. Denn nachhaltige Ernährung ist sehr oft auch leicht und gesund. Immer mehr Menschen arbeiten vermehrt sitzend. Gleichzeitig haben wir mehr Lifestyle-Bewusstsein und eine hohe Körperkultur. So kommen immer mehr Gäste in unsere Restaurants. Weil sie hier ein Angebot finden, das nicht nur gut schmeckt, sondern auch leicht, bekömmlich und gesund ist.

Ein weiterer Trend ist die vegane Küche, die die Nachhaltigkeit noch weiter fördern würde. Wie sehen Sie das, Herr Vellacott?
TV  Dass es effektiv ist, auf Fleisch zu verzichten, ist das eine. Milchprodukte hinterlassen aber ebenfalls einen hohen ökologischen Fussabdruck. Wer also attraktive vegane Menus anbietet, verbessert die Umweltbilanz der einzelnen Mahlzeit und des Unternehmens zusätzlich.

Ist das eines der nächsten grossen Themen in der Gastronomie?
TV  In den Bereichen Fleisch- und Milchprodukte kommen laufend neue Ideen auf den Markt. Ich bin überzeugt, dass wir hier erst am Anfang stehen und noch vieles möglich ist. Der Gast soll auch von der Wahl entbunden sein, ob er der Umwelt oder sich etwas Gutes tun will. Diese scheinbaren Gegensätze müssen aufgelöst werden. Das sehe ich als eine wichtige Aufgabe.

PC  Vegetarisch wurde zum Mainstream. Ich denke, vegan wird eine Nische bleiben. Die Schnittmenge zwischen gesunder und veganer Ernährung ist einfach zu klein. Zudem erfordert die rein vegane Ernährung ein hohes Ernährungswissen. Deshalb wird es wie die Flexitarier auch Flexiveganer geben, die sich nur sporadisch vegan ernähren. 

TV  Tatsächlich entfernen wir uns zunehmend von der Kategorisierung in Fleischesser, Vegetarier und Veganer. Das Essverhalten wird viel stärker ineinander übergehen. Am Ende will ich mich einfach gut, gesund und nachhaltig ernähren. Das kann mal so, mal so sein. 

Herr Camele, welche Ziele wollen Sie als Nächstes umsetzen?
PC  Das Thema Nachhaltigkeit steht bei uns auf drei Pfeilern. Auf dem ersten steht der Umweltschutz, geprägt von der CO2-Reduktion. Der zweite Pfeiler ist die Kulinarik, die mit der vegetarischen Küche ebenfalls einen Einfluss auf den Umweltschutz hat. Bleibt der dritte Pfeiler. Wir haben unsere Kunden und Gäste befragt und erfahren, dass viele von ihnen beim Auswärtsessen mehr Informationen zum Tierschutz erhalten möchten. Heute ist es aber so, dass nur der Detailhandel einen grossen Schritt machte, etwa mit der tierfreundlichen Stallhaltung und der vermehrten Weidehaltung. In der Gastronomie geschah jedoch praktisch nichts, was das Tierwohl verbesserte. In unserem nächsten Schritt gehen wir von null auf 50.  

Was heisst das?
PC  Wir hatten bisher nur Fleisch aus herkömmlicher Stallhaltung, wie die gesamte Gastronomie. Wir haben im August 2016 mit dem Schweizer Tierschutz ein Abkommen unterzeichnet, dass wir unseren Anteil aus tierfreundlicher Haltung bis Ende 2017 von null auf 50 Prozent erhöhen. Und bis Ende 2019 auf bis zu 80 Prozent.

TV  Was wir auch international bei den Partnern von WWF beobachten, ist ein neuer Trend. In Paris hat sich die Staatengemeinschaft auf einen globalen Absenkpfad der CO2-Emissionen verpflichtet. Damit soll die globale Erwärmung auf 1,5 bis maximal 2 Grad begrenzt werden. Die Unternehmen fragen nun: «Was bedeutet dieser globale Pfad für unsere Branche und für unser Unternehmen?» Das ist ein radikales Umdenken. Weil die Unternehmen jetzt über ihr Geschäftsmodell nachdenken und sich fragen, was möglich ist und was sie dazu verändern müssen. Die Staatengemeinschaft scheint es mit ihren Zielen wirklich ernst zu meinen. Dazu haben wir viele Hinweise. Zum Beispiel, dass die Teilnehmerstaaten das Abkommen in Rekordzeit ratifiziert haben. Das ist eine gute Vorbereitung auf die Zukunft, in der man mit deutlich weniger CO2-Emisssionen auskommen muss.

Dass man als Unternehmen Teil dieses Programms ist, vermittelt sicher ein gutes Gefühl, Herr Camele.
PC  Ja, das ist so. Wir haben uns vor drei Jahren auf eine Reise gemacht, vor der wir nicht genau wussten, wohin sie führt. Unser Verhalten entsprach einfach unserer persönlichen Überzeugung. Und wir spürten, da müssen wir etwas tun. Das Einzige, das uns blieb, war: Wir rufen den WWF an. Wir mussten sehr viel lernen, ohne zu wissen, ob es funktioniert. Wenn wir heute sehen, dass wir von unseren 300 Betrieben bereits rund die Hälfte in der Spur von ONE TWO WE haben, ist das weit über Erwarten. Das macht uns sehr stolz.

Ist denn der Bedarf an Beratung und Zusammenarbeit mit dem WWF gross?
PC  Der WWF machte uns in einer ersten Phase klar, was Nachhaltigkeit in unserer Branche überhaupt bedeutet. Das wussten wir vorher nicht. Sie zeigten uns auch, wie wir vorgehen müssen. Wie eine Wertschöpfungskette nachhaltig gestaltet wird. Welche Erfahrungen sie mit anderen Unternehmen machten. Da haben sie uns intensiv begleitet, bis unser Programm diese hohe Glaubwürdigkeit erreicht hat. Auch zum Thema Tierschutz stand uns der WWF zur Seite. Heute haben unsere Kunden und Gäste die Sicherheit, dass die von uns propagierte Nachhaltigkeit vom WWF geprüft wurde und auch wirklich zutrifft. Das ist ein laufender Prozess, der uns weiterbringt.

TV  Wichtig ist, dass ein Unternehmen erkennt, wie sehr Nachhaltigkeit mit Innovation zu tun hat. Wir haben kein Kochbuch, in dem wir einem Unternehmen pfannenfertige Rezepte servieren. Zentral ist die Bereitschaft eines Unternehmens, sich auf die Reise zu machen, obwohl man weder die Lösung noch das Ziel genau kennt. Mit dieser Offenheit kann man im Geschäftsmodell richtig innovative Konzepte umsetzen. Wer meint, er habe gleich von Anfang an eine glasklare Vorstellung und der WWF soll bitte noch seinen Stempel dazugeben, irrt sich. Wir werden uns gemeinsam auf Gebiete vorwagen, bei denen auch wir als WWF die Lösung noch nicht kennen. Wir wissen einfach, dass wir noch mehr CO2 einsparen müssen. 

PC  Das ist ein wesentlicher Faktor. Man spricht ja in der Betriebswirtschaft immer wieder davon, dass ein Unternehmen offen sein muss, wenn es sich wirtschaftlich entwickeln will. Dass es sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren und in den ergänzenden Bereichen mit Partnern zusammenarbeiten soll. Das geht nur, wenn man gemeinsame Ziele hat. Und dass man Partner hat, die die gesuchte Kompetenz einbringen. Heute haben wir diese Kompetenz. Das hilft uns, auch ganz anders auf unsere Kunden zuzugehen. Beim Thema Nachhaltigkeit müssen wir in den Kundengesprächen zum Teil gegenläufige Interessen zusammenbringen. Dank unserem Learning-Prozess können wir solche Gespräche leiten und moderieren. Das ist ein Effekt, der für uns sehr wertvoll ist.

Zum Schluss noch eine ganz persönliche Frage. Herr Vellacott, Herr Camele, wie haben und wie werden Sie sich heute noch ganz persönlich nachhaltig verhalten?

TV  Ich bin Vegetarier und werde deshalb auch heute vegetarisch essen. Zudem habe ich das Privileg, dass ich mit dem Velo zur Arbeit fahren kann. Mein Transportfussabdruck wird deshalb klein sein.

PC  Es ist jetzt 9 Uhr morgens. Ich war bereits rund viereinhalb Kilometer zu Fuss unterwegs. Von zu Hause ging ich zum Bahnhof, dann kam ich vom Hauptbahnhof hierher zum WWF, anschliessend gehe ich auch wieder zu Fuss zum nächsten Quartierbahnhof und heute Abend von meinem Ausgangsbahnhof zu Fuss nach Hause.