Nur noch drei Tage, bis der Wecker nicht mehr um 4 Uhr morgens schellt

Nach 26 Jahren bei der SV beginnt für den charismatischen Restaurant Manager der Berufsfachschule Winterthur ein neuer Lebensabschnitt – er tritt frühzeitig in den Ruhestand. Im Verlauf seiner Karriere hat Roger einen grossen Teil der Unternehmens-geschichte miterlebt und mitgeprägt. Grund genug, um ihn ein letztes Mal in seinem Betrieb zum Kaffee zu treffen und von ihm zu hören, wie er persönlich die Entwicklung der SV Group miterlebt hat, welche Erlebnisse ihm in besonders schöner Erinnerung bleiben werden und wie man sich auch gedanklich auf den Ruhestand vorbereitet.

Roger empfängt mich mit einem sympathischen Lächeln und einem festen Händedruck – wie es sich für einen echten Gastronomen gehört. Doch so richtig anfreunden will er sich noch nicht mit dem Gedanken, dass wir ihn heute ins Rampenlicht stellen möchten – dafür ist er zu bescheiden.

Roger, am Freitag ist dein letzter Arbeitstag bevor du in den Ruhestand trittst. Fällt dir das Loslassen schwer?

Heute war für mich Generalprobe! Ich habe meinem Nachfolger zum ersten Mal das Feld überlassen, damit er proben und alles alleine machen kann. Dazu bin ich extra später zur Arbeit gekommen. Um vier Uhr habe ich zum ersten Mal auf den Wecker geschaut und mir gesagt: Heute musst du ja nicht früher gehen! Ich habe mich umgedreht, aber bereits um sechs war ich wieder wach. Um sieben habe ich aufgegeben und bin aufgestanden.

Die ersten paar Wochen werden ganz bestimmt schwierig, bis dieser Chip im Kopf umprogrammiert ist. Aber das ist ja auch verständlich. Immerhin betreue dieses Mandat bereits seit 2005 und habe sieben langjährige Mitarbeitende in meinem Team. Nach so einer langen Zeit, ist es klar, dass mir der Betrieb, mein Team und mein Kunde sehr ans Herz gewachsen sind.

Wieso hast du dich für die Gastronomie entschieden?

Die Gastronomie liegt unserer Familie sozusagen im Blut. Ich bin in einem Hotel aufgewachsen, das meine Eltern damals in Winterthur führten. Mir war daher immer klar, dass ich Koch werden möchte. Nach meiner Ausbildung wollten meine Eltern zwar, dass ich die Hotelfachschule mache, aber mich hat vor allem der Kontakt zu Kunden interessiert. Deshalb habe ich zu Beginn als Gerant – also als kochender Restaurantmanager – im Namen von Einzelfirmen kleine Betriebe geführt. Nach ein paar Jahren habe ich dann in Winterthur einen eigenen Betrieb übernommen, in den ich viel reingesteckt habe und der wirklich gut lief.

Und wie bist du zur SV gekommen?

Die Selbständigkeit bedeutete nicht nur Erfolg, sondern auch viel Druck. Vor allem, wenn man versucht, Beruf und Familienleben unter einen Hut zu bringen. Es kam dann leider auch zur Trennung zwischen mir und meiner Frau und ich stand an einem Wendepunkt in meinem Leben.  Ich brauchte einen Neuanfang.

Durch einen Arbeitskontakt, der bei der SV arbeitete, wurde ich auf das Unternehmen aufmerksam. SV war dazumal noch als Verein organisiert und war mir recht unbekannt. Das war 1996. Damals war googlen noch nicht gang und gäbe, um an Informationen zu kommen und man musste sich noch persönlich einen Eindruck verschaffen. Auf einem Betriebsbesuch bei meinem Arbeitskontakt merkte ich, dass mir das gefallen könnte.

Glücklicherweise suchte die SV damals in Winterthur einen Verantwortlichen für die Neueröffnung der damaligen Hochschule für Wirtschaft (HWV), die heute ein Teil der ZHAW ist. Das war ein richtig grosses Ding. Es gelang mir, bei der damaligen Regionaldirektorin Grete Brändli-Bührer vorzusprechen. Also genau genommen musste ich drei Mal bei ihr antraben. Nach dem dritten Interview wollte ich es dann wissen: «Schauen Sie, habe ich den Job oder nicht?» Und sie meinte «Ja, sie haben ihn!». So kam ich zur SV.

An der HWV blieb ich dann sieben Jahre lang und habe dort eine tolle aber auch absolut verrückte Zeit erlebt. Wir hatten im Jahr rund 400 Anlässe. Da wir aufgrund der Schulferien an nur rund 190 Tagen geöffnet hatten, macht das drei Anlässe pro Tag! Einige Anlässe hatten es in sich, da wir oft auch grosse Persönlichkeiten bei uns begrüssen durften: Sämtliche Bundesräte waren zum Beispiel bei uns, die Offiziersgesellschaft, Claude Nicollier oder auch Bertrand Piccard, gleich nachdem er vom Hubble-Teleskop zurückkam und bei uns einen Vortrag hielt.

Für diesen Job musste man gemacht sein, da man manchmal erst um Mitternacht Schluss machen konnte und am nächsten Tag um fünf wieder dastehen musste, um 300 bis 400 Sandwiches zu machen und sich auf einen Tag mit 1000 Gästen vorzubereiten.

Nachdem wir das Mandat leider vorübergehend an die Konkurrenz verloren hatten, hat es mich für ein Jahr zur damaligen Tschokke, der heutigen Implenia, als «Trouble-Shooter» verschlagen. Der Kunde wollte von uns ein moderneres Angebot, welches ich als kochender Restaurant Manager umsetzen durfte.

2005 kam dann eben der Wechsel zur Berufsfachschule, wo ich bis heute geblieben bin.

Was waren in den vergangen 26 Jahre deiner Meinung nach die grössten Veränderungen bei der SV?

Das ist eine schwierige Frage. Ich könnte einen ganzen Abend lang darüber sprechen.

Die grösste Veränderung seit meinem Eintritt im Jahr 1996 ist sicher, dass die SV damals noch ein Non-Profit-Unternehmen war. Gewinn zu machen, war nicht das oberste Ziel – das hat man natürlich gespürt. Es entstand viel weniger finanzieller Druck und die Zufriedenheit des Kunden stand immer an erster Stelle. Als Restaurant Manager hatte man dadurch sehr viel Gestaltungsfreiheit.

Als die SV 1999 zur AG wurde, hat sich das sukzessive verändert. Mit der unternehmerischen Ausrichtung stieg der Kostendruck merklich an. Trotzdem war es natürlich richtig, diesen Weg einzuschlagen, um im Markt bestehen zu können.

Aber gerade Corona hat gezeigt, dass das Unternehmen in Bezug auf seine Werte auch einiges bewahren konnte. Ja, wir mussten zwar harte Entscheidungen treffen, aber insgesamt hat das Unternehmen sehr stark darauf geschaut, dass es in erster Linie den Mitarbeitenden gut geht.

Der zweite grosse Unterschied zu früher ist sicher die Digitalisierung. Das hat zwar schon früh angefangen, aber in den letzten 12 Monaten kam ein riesen Schritt auf unsere Betriebe zu. Auch wenn die Köpfe manchmal rauchten, hat man gerne mitgearbeitet, weil es absolut spannend ist.

Was macht einen erfolgreichen Restaurant Manager aus?

Ich kenne viele Kollegen und Kolleginnen in unserem Unternehmen, die für mich dem Bild eines erfolgreichen Restaurant Managers entsprechen. Sie alle sind mit Herz und Seele dabei. Diese Leidenschaft für den Job ist etwas, das man nicht lernen kann. Fachkenntnisse und Kostenmanagement kann man jemandem beibringen, aber das richtige Gespür für das Team zu haben nicht. Ich sehe es als Teil meines Erfolgs, dass meine Teammitarbeitenden langjährige Kollegen sind. Jeder im Team hat seine Stärken und Schwächen – meine Aufgabe war es, das Team so zusammen zu setzen, dass diese optimal zum Ausdruck kommen können.

Ein guter RM kann sich meines Erachtens auch mal entschuldigen, wenn er zu streng war. Und er nimmt sich die Zeit, den Mitarbeitenden das «Warum» zu erklären, anstatt nur Anweisungen zu geben. Ich wollte nie Chef sein, um Hierarchie zu festigen, sondern im Gegenteil: Ich reisse diese ein und möchte Leute befähigen. Denn nur zusammen erreichen wir das Ziel: Den Kunden zum Lächeln zu bringen.

Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf, jetzt, wo der Ruhestand vor der Türe steht?

Mein Bruder und mein Vater sind beide mit 61 gestorben. Schon deshalb war es für mich klar, dass ich früher gehen möchte. Aber natürlich war eine meiner Hauptfragen: Kann ich mir das überhaupt leisten? Ich habe mich bereits bei meinem Eintritt in die SV darüber erkundigt, was es für Möglichkeiten gibt.

Glücklicherweise verfügt die SV mit SenePrima über einen Fond, auf den man einzahlen kann und der einem eine Frühpensionierung ermöglicht. Mit dem Fond kann man anteilsmässig den Verlust wettmachen, der bei einer Frühpensionierung entsteht. Natürlich hängt das davon ab, wie lange man bei der SV gearbeitet hat und wie lange man Beiträge in den Fond gezahlt hat.

Hast du bereits Projekte, die du jetzt in Angriff nehmen möchtest?

Ich hatte aufgrund meiner Arbeit nie die Möglichkeit, regelmässig Hobbies zu pflegen. Vor allem im Vereinswesen war das schwierig, da meine Ferien durch den Schulbetrieb vorgegeben waren. Es war mir deshalb nie möglich, frei zu nehmen und an Turnieren dabei zu sein. Früher war ich im Kleinkalieberverein, im Jassverein und im Schachklub, musste das aber aufgeben, weil ich nicht flexibel genug war. Jetzt werde ich einen Teil davon wieder reaktivieren können! Ich bin gespannt, ob mir das noch gefällt. Aber vor allem werde ich meine Freundschaften pflegen.

Trifft man dich nächste Woche bereits wieder hier im Betrieb an?

Ja, das ist gut möglich. [Roger lacht]